Die Erfindung der Enigma ist ein Meilenstein in der Kryptographie und erlebte ihre Geburt im Jahre 1918. In diesem Jahr gründete der deutsche Erfinder Arthur Scherbius und sein enger Freund Richard Ritter die Firma Scherbius & Ritter. Dieses sehr innovative Unternehmen stellte vom Heizkessel bis zur Turbine alles nur erdenkliche her, doch die Enigma war die Krönung. Scherbius wollte ein Cheffriersystem erwickeln, das Bleistift und Papier, die man in den Schützengräben des ersten Weltkrieges noch zum cheffrieren benutzte, endgültig verbannen sollte, und er schuf die gefürchteste Cheffriermaschine der Geschichte.

Eine geöffnete Enigma mit Walzen


Unterteilen wir die Enigma in vier Unterpunkte um dieses raffinierte Gerät zu verstehen:

    1. Beginnen wir mit dem wichtigsten Teil, der Walzen, dicke Gummischeiben, die von sechs Drähten durchzogen sind. Ausgehend von der Tastatur verlaufen die Drähte im Innern der Walzen kreuz und quer und treten schließlich an sechs Punkten auf der anderen Seite wieder aus. Die Verdrahtung im Innern der Walze bestimmt, wie die Klarbuchstaben verschlüsselt werden. Wir haben es bis jetzt also mit einer simplen monoalphabetischen Verschlüsselung zu tun, die durch die Häufigkeitsanalyse geknackt werden kann.

    2. Die Walzen drehten sich jedoch jedesmal, wenn ein Buchstabe verschlüsselt war, um ein Sechstel ihres Umfang - also um ein Sechsundzwanzigstel ihres Umlaufs bei einem vollständigen Alphabet von 26 Buchstaben. Wir haben es nun mit sechs verschiedenen Geheimtextalphabeten zu tun. Also einer polyalphabetischen Verschlüsselung, die nicht mehr so einfach mit der Häufigkeitsanalyse zu decheffrieren ist.

Ein ausgefuchster Kryptoanalytiker hätte aber dennoch eine Chance. Wenn beispielsweise sechsmal das "b" eingetippt wurde, kehrt die Walze in ihre ursprüngliche Position zurück, und wenn weiter "b" eingegeben wird, wiederholt sich das Verschlüsselungsmuster. Bei einer hinlänglich langen Nachricht kommt es zwangsläufig zu dem Fall, dass die Häufigkeitsanalyse auf jeden sechsten Buchstaben angewendet werden kann, und der Code wäre zu brechen.

Also fügte Scherbius eine zweite Walze hinzu. Diese Walze dreht sich erst, wenn die erste Walze eine vollständige Umdrehung hinter sich hat - ähnlich wie der Kilometerzähler in Ihrem Auto; die Walze, welche die einzelnen Kilometer anzeigt, dreht sich ziemlich schnell, und wenn sie die "9" erreicht hat, schiebt sie die Walze, die die Zehner anzeigt, um eine Stelle weiter. Wir haben nun 36 Geheimtextalphabete und unser Kryptoanalytiker wird so langsam ins Schwitzen kommen.

Scherbius hatte so langsam Gefallen an den Walzen gefunden; er fügte eine dritte hinzu, die nach dem selben Prinzip wie die zweite arbeitet. Bei einem vollständigen Alphabet ermöglichte diese zusätzliche Walze 26x26x26 oder 17576 unterschiedliche Einstellungen. Zudem baute er einen Reflektor - oder Umkehrwalze - ein. Der Reflektor ähnelt insofern einer Walze, als es sich um eine Gummischeibe mit innenliegender Verdrahtung handelt, doch sie rotiert nicht, und die Leitungen treten an derselben Seite wieder aus, auf der sie eintreten. Das Signal gelangt jedoch nicht zur Tastatur zurück, sondern zum Lampenfeld (wie in der untenstehenden Graphik zu sehen).


Die Tastatur einer Enigma. Beim Betätigen einer Taste, leuchtet der codierte Buchstabe auf.

Der Reflektor macht auf den ersten Blick wenig Sinn, doch betrachten wir die Entschlüsselung durch die Augen eines deutschen Offiziers, der eine durch die Enigma cheffrierte Nachricht vor sich hat. Er muß die Ausgangsstellung der Walzen kennen und natürlich ebenfalls eine Enigma besitzen. Nachdem er die Walzen vorschriftsgemäß eingestellt hat, tippt er den verschlüsselten Text Buchstabe für Buchstabe ein, während auf dem Lampenfeld der jeweilige Klarbuchstabe aufleuchtet - Verschlüsselung und Entschlüsselung sind spiegelverkehrte Prozesse. Dass die Entschlüsselung so einfach ist, liegt am Reflektor. Doch Arthur Scherbius dachte weiter:

    3. Um die derzeitige Anzahl von 17576 möglichen Walzeneinstellungen noch zu erhöhen, hätte Scherbius noch zusätzliche Walzen einbauen können. Jede weitere Walze erhöht die Zahl der Schlüssel um den Faktor 26 und hätte unserem Kryptoanalytiker so langsam die Tränen in die Augen getrieben. Doch Scherbius wusste, dass die Maschine dadurch zu unhandlich für den möglichen Heereseinsatz geworden wäre.

Scherbuis bediente sich nun eines Tricks; die Walzen konnten von nun an herausgenommen und vertauscht werden. Die sogenannte Walzenlage beeinflusst auf entscheidende Weise die Verschlüsselung. Es gibt sechs verschiedene Möglichkeiten, die drei Walzen anzuordnen, so dass diese Änderung die Zahl der Schlüssel oder die Zahl der möglichen Verschlüsselungen um den Faktor sechs erhöht.

    4. Des Weiteren baute Scherbius ein Steckerbrett zwischen der Tastatur und der ersten Walze ein. Das Steckerbrett ermöglichte es nun dem Chiffreur, über Kabel die Buchstaben zu vertauschen, bevor das Signal in die Walze eintritt. Logischerweise konnten bis zu sechs Buchstabenpaar über bis zu sechs Kabel vertauscht werden.

Eine Enigma in Aktion

Die Buchstaben, die durch das Steckerbrett vertauscht werden, gehören mit zur Grundeinstellung der Maschine und müssen daher im Schlüsselbuch aufgeführt sein. Es ist erstaunlich, wie mit vier simplen Techniken - die für sich betrachtet simple Chiffren erzeugen -, miteinander kombiniert, eine enorme Anzahl an möglichen Verschlüsselungen erzeugen. Die folgende Liste enthält alle Variablen der Maschine und die Zahl der Einstellungen, die jede annehmen kann:

  • Walzenstellungen: Jede der drei Walzen kann in eine von sechsundzwanzig Stellungen gebracht werden.
    Es gibt daher 26x26x26 Einstellungen:

    17.576 Einstellungen


  • Walzenlagen: Die drei Walzen (1, 2 und 3) können in folgende sechs Reihenfolgen gebracht werden:
    123, 132, 213, 231, 312, 321.

    6 Einstellungen


  • Steckerbrett: Die Zahl der Möglichkeiten, sechs Buchstabenpaare von 26 zu verbinden und damit zu vertauschen, ist gewaltig:

    100.391.791.500 Möglichkeiten


  • Gesamtzahl: Die Zahl der möglichen Schlüssel ergibt sich aus der Multiplikation dieser drei Zahlen:
    17.576 x 6 x 100.391.791.500

    zirka 10.000.000.000.000.000 Schlüssel

10.000.000.000.000.000 Möglichkeiten!! Nehmen wir mal an, unser Kryptograph hätte eine Enigma, aber kein Schlüsselbuch. Wenn er hartnäckig, schnell und entschlossen genug wäre, eine Einstellung pro Minute zu überprüfen, würde er länger brauchen, als das Universum alt ist.

Scherbius erwarb 1918 das Patent für seine Enigma. Sie maß 34x28x15 Zentimeter und wog 12 Kilo. Das Luxusexemplar, welches er dem Außenministerium für den diplomatischen Dienst anbot, und mit einem Drucker anstelle eines Lampenfeldes ausgestattet war, kostete nach heutigem Wert immerhin 25.000 Euro.
Doch er brachte seine Maschine einfach nicht an den Mann. Erst 1925 begann Scherbius die Serienfertigung für das deutsche Militär. Im Jahr darauf begann die Enigma ihren militärischen Einsatz und wurde später auch von der Regierung und staatlicher Organisationen wie der Reichsbahn verwendet. Diese Enigmas unterschieden sich von denen, die Scherbius Privetleuten und -firmen verkauft hatte, denn die Walzen waren im Innern anders verdrahtet. Die kommerzielle Enigma war also nicht fähig, staatliche und militärische Nachrichten zu entschlüsseln.

In den nächsten zwanzig Jahren erwarb das Militär über 30.000 Enigmas. Dies verschaffte den Deutschen das sicherste Verschlüsselungssystem der Welt, und bei Ausbruch des zweiten Weltkrieges schien es so, als würde die Enigma ganz entscheidend zu einem Sieg der Nationalsozialisten beitragen, doch statt dessen spielte sie eine Rolle beim Ende des Hitlerregimes. Scherbius erlebte die Erfolge und Mißerfolge seines Cheffriersystems nicht mehr. Im Jahr 1929 verlor er bei einem Ausritt die Kontrolle über seine Pferdekutsche und krachte gegen eine Mauer. Er starb am 13. Mai an seinen inneren Verletzungen.



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